Donnerstag, 6. Januar 2011

Abel und Kain - polare Qualitäten und ihre Schatten 1.




1. Die Einseitigkeit der Abel-Strömung - Die Überbetonung des Autoritätsglaubens und der Abscheu vor Sünde und Schuld. Die universale Liebe des Christus in der Menschenseele, welche solche Tendenzen überwindet.






Die Polarisierung ist sicher keine neue Tendenz in der anthroposophischen Bewegung. Aber die Steigerung der polaren Kräfte von Abel und Kain war nach meiner Meinung noch nie so klar vor unsere Augen geführt wie heute. Abel und Kain, Wasser und Feuer - sie stellen sich als zwei polare Haltungen und Qualitäten dar, welche erst im modernen Rosenkreuzertum konkret vereint werden können.

Und die Polarisierung der beiden Kräfte stellt uns, die sich mit dem Werk Steiners beschäftigen, in eine nicht leichte Probe. Allerdings sind diese Kräfte ein Ausdruck des Menschheitskarmas. Deshalb ist die Polarisierung selbstverständlich auch sonst in der ganzen Welt wirksam.




Eine einseitige Entfaltung des Abel-Wasser-Prinzips ist nach meiner Erkenntnis z.B. in einem gesteigerten Autoritätsglauben oder in einer religiösen Gehorsamkeit zu finden, wie sie im Zusammenhang mit dem Papst im Sinne der Unfehlbarkeit seiner göttlichen Autorität heute noch praktiziert wird. Die Abel-Strömung, die das Wasser-Element repräsentiert, verkörpert eine kostbare Qualität, sich zu einem selbstlosen Gefäss des Geistigen zu machen. Verhärtet diese Tendenz aber und weicht von der Mitte ab, dann verwandelt sie sich zu einer ungesunden "Selbstaufgabe". Und gerade diese Selbstaufgabe ist der Hintergrund des starken Autoritätsglaubens an eine Person, welche wie ein Heiliger oder ein Retter von den anderen Menschen streng unterschieden wird. Innerhalb der anthroposophischen Bewegung sehe ich diese Tendenz bei den Anhängern von Judith von Halle.

Die Selbstlosigkeit, in der man sich für ein geistiges Ideal einsetzt, finde ich ein wunderbares Merkmal der Deutschen, das ich sehr schätze. Aber gerade diese Selbstlosigkeit kann sich unter Umständen zu einer fanatischen Selbstaufgabe und zu einem extremen Autoritätsglauben steigern, so wie im zweiten Weltkrieg - diesbezüglich sind die Deutschen und die Japaner erstaunlich ähnlich - , kann ihre ursprüngliche Stärke, sich selbstlos und idealistisch dem Wichtigen zu dienen, zu einer Gefahr im Sinne des Selbstverneines werden.



Man sucht den Schwerpunkt der Entwicklung im Gnade Gottes und will die freie Eigenständigkeit der einzelnen Menschen zurückdrängen. Etwas, was in einer zurück liegenden Periode der Entwicklung in Mitteleuropa berechtigt war, will sich in der gegenwärtigen Zeit genauso wie früher weiter fortpflanzen. Das Gute in einer früheren Zeit, ist nicht mehr gut, wenn es in einer späteren Zeit genauso wieder auftaucht und sich zur Geltung bringt. Das ist ein Urprinzip der Entwicklung. Auch diese Tendenz sehe ich am klarsten im Verlag für Anthroposophie und bei den Anhängern um Judith von Halle.

Ich habe keine Absicht, den Impuls der Person von Judith von Halle ganz zu verneinen, denn ich verstehe so, dass sie eine Strömung - egal ob sie eine die anthroposophischen Aufgaben direkt fördernde oder eher hemmende Strömung ist, weil eine Strömung, die von einer Hauptströmung deutlich abweicht, trägt dennoch der gesamten Entwicklung der anthroposophischen Bewegung bei, weil die gewissen Hindernisse unbedingt für eine echte Entwicklung nötig sind- repräsentiert, so wie die anderen Menschen ihre Strömungen und Ansätze vertreten. Auch die Art, wie sie ihre historischen Wahrnehmungen um die Zeitenwende vertritt, ist ihre freie Sache.

Aber z.B. eine Tendenz, die ich sowohl an ihr (vor allem in ihrem Buch "die Christusbegegnung der Gegenwart" oder in ihren Artikel im Goetheanum Nr. 45, 2010 über die Nahrungslosigkeit) als auch bei vielen Anhängern von ihr beobachte, finde ich problematisch.

Das ist die Art, etwas Heiliges und Auserwähltes in einer gesteigerten Verehrungshaltung hervorzuheben und damit - ob sie wollen oder nicht - auch das Nicht-Heilige und das Nicht-Auserwählte als Gegenpol zu verneinen.
Im Artikel über die Nahrungslosigkeit im Goetheanum erwähnt sie, dasss der Mensch nicht dazu verdammt sei, ewig in dem Zustand zu bleiben, in dem man die irdische Nahrung aufnehmen muss. Dieser Ausdruck ist für mich nicht akzeptabel, denn das ist eine pauschale Verurteilung der irdischen Nahrungsaufnahme aus einer religiös-moralischen Interpretation heraus.

Nach ihr ist nur derjenige Mensch wie sie göttlich und heilig, der ohne eigene Willensanstrengung als Gnadenakt keine irdische Nahrung mehr zu sich nimmt. Liest jemand diesen Text, der normale Nahrung aufnimmt, fühlt er in sich ein Scham-oder Schuldgefühl auch Angst und Unsicherheit, sogar Zweifel an der moralischen Qualität seines eigenen Daseins, weil nach der Interpretation von Judith von Halle eine Aufnahme irdischer Lebensmittel "degeneriert" ist. Für mich ist das Verursachen solcher Gefühle moralisch nicht in Ordnung, denn wir leben nicht im Mittelalter. Heute schwächt solches Schuldgefühl das Ich der einzelnen Menschen.


Im Artikel wird nach meiner Meinung eine entscheidende geistige Tatsache übergangen, dass der Mensch gerade durch den Sündenfall Freiheit und Erkenntnisfähigkeit gewann. Wertet man auf pauschale Weise die irdische Nahrungsaufnahme ab, dann verneint man nicht nur die Tat der Widersacher, sondern zugleich Freiheit und Erkenntnisfähigkeit der Menschheit.


Rudolf Steiner war derjenige, der gerade durch das Aufzeigen der wichtigen Bedeutung der Widersacher für die Entwicklung uns aus dem Bann des alten Glaubens - wir sind alle gefallen wegen des Widersachers und durch den Sündenfall und wurden arme Opfer - heilsam befreit hat. Die Widersacher haben uns nicht nur zu einem tragischen Schicksal geführt, sondern uns ein wunderbares Geschenk der Freiheit mitgegeben. Dieser Aspekt ist ungeheuer befreiend. Diese Auffassung rettet den Menschen aus einer passiven Ohnmacht und erweckt in ihm die Kraft des Ichs - die Bejahung des Gewesenen und die Eigenständigkeit jedes Menschen.

Der Christus ist derjenige, der dieses Geschenk der Widersacher nicht ablehnt oder verurteilt - er baut im Gegenteil dazu darauf weiter, damit der Mensch wieder zu seiner geistigen Höhe aufsteigen kann. Es geht nicht um eine Rückentwicklung, sondern um die Vorwärtsentwicklung durch den Sündenfall hindurch. Durch Steiners Auffassung über die Widersacher kann der moderne Mensch beginnen, den ätherischen Christus und das manichäische Prinzip zu verstehen - die Widersacher sollen nicht verabscheut oder bloss vermieden werden, sondern in einer starken Liebe der menschlichen Seele verwandelt werden.
Wenn man heute zu sehr etwas Heiliges sucht, verliert man dadurch die Seelenliebe zu den Menschen. In einer starken Verehrung und in der Suche nach etwas Heiligem kann zwar eine Liebe zum Geist aktiviert werden, aber nicht die wirklich die Menschen wärmende Liebe.

Durch die Trennung des Heiligen von dem Nicht-Heiligen entsteht der Eindruck: Man verabscheut die Widersacher, die das Heilige zerstören wollen. Das Gute und das Böse werden in einem Schwarz-Weiss-Urteil streng von einender getrennt. Diese Art der moralischen Haltung widerspricht nach meiner Erkenntnis den gegenwärtigen Impuls des ätherischen Christus. Die Heilig-Verehrung der Anhänger von Judith von Halle ist nicht mehr zeitgemäss. Sie ruft eine starke Polarisierung in der Welt hervor.

Der ätherische Christus ist das Wesen, das im Sinne des modernen manichäischen Impulses gerade die dunklen Schatten der Widersacher für ihre Wandlung in sich bewusst integriert hat. Darin besteht ja das Wesen seiner zweiten Kreuzigung in der ätherischen Welt im 19. Jahrhundert. Der ätherische Christus strömt die gleiche Liebe allen Menschen zu, egal ob sie heilig erscheinen oder nicht, denn es gibt keinen solchen Unterschied vor seiner universellen Liebe.


Das ist ein unverwechselbares Merkmal des ätherischen Christus. Er schickt uns allen die Kraft der wahren Liebe zu, welche mit sentimentaler Harmoniesucht oder mit der blossen Freundlichkeit nichts zu tun hat. Seine Liebe besitzt eine Kraft, gerade die oben genannte sektiererische Trennung zwischen dem Heiligen und dem Nicht-Heiligen aufzuheben. Der Christus will heute nicht das Heilige, welches das Nicht-Heilige verabscheut, im Menschen erwecken, sondern die Liebe, welche die alte Art der Trennung des Heiligen von dem Nicht-Heiligen, die Trennung des Auserwählten von dem Nicht-Auserwählten aufzuheben vermag. Der Christus hebt die alte Gewohnheit der Menschheit auf, den strengen Klassen-Unterschied der Menschen je nach ihrer angeblichen Heiligkeit aufrechtzuerhalten. Gerade für die Entwicklung der kraftvollen Liebe im Innern braucht der Mensch eine Eigenständigkeit im hohen Masse. Sie kann ohne das Ablegen eines starken Autoritätglaubens nicht zustande kommen. Die kraftvolle Liebe, die durch das Einwirken des Christus in der menschlichen Seele entstehen soll, ist höher als etwas Heiliges im alten Sinne, denn diese Liebe ist das eigentliche Ziel der Erdenentwicklung und ist zugleich die wahre Kraft der Auferstehung selbst.


Junko Althaus












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